Heute ist der 1. Advent. Alle haben heute fleißig ein Türchen aufgemacht oder eine Kerze angezündet. Und auch hier kommt jedes Türchen eine neue Geschichte – eine anders als die vorherige. Die erste Geschichte findet im schönen Venedig, in Italien statt.
„Psssst“ flüsterte mir jemand ins Ohr und zog mich hinter die Tür. Seine Hände nahmen mich und er schaute mir direkt ins Gesicht. Dann sagte er mit zärtlicher Stimme: „Ich glaub wir müssen uns jetzt küssen.“ Plötzlich schreckte ich hoch. Ein lautes Klirren riss mich aus meinen Träumen und ich schlug schnell die Bettdecke auf die Seite. „Nichts passiert!“, ertönte eine Stimme von unten aus der Küche. Die Stimme meiner Mutter. Langsam erholte ich mich von dem Schrecken. Ich sah auf die Uhr. 6:24. Es war also sowieso Zeit aufzustehen. Ich ging zum Fentser, zog meine beige-braunen Vorhänge zur Seite und blickte aus dem Fenster. Kleine Froststerne schmückten die Scheibe und als ich das Fenster öffnete kam mir die kalte Dezemberluft entgegen. Draußen liefen schon ein paar Menschen herum. Dick eingepackt in Mäntel, mit Mützen und Handschuhen liefen sie die engen Gassen Venedigs entlang und huschten dann in Seitenstraßen. Es war ein wunderschöner Morgen, trotz der kalten Luft. Ich schloss das Fenster wieder und ging zu meiner Kommode um mir meinen rot-beige gestreiften Pulli herauszuholen, den ich letztes Jahr von Oma bekommen hatte. Dann zog ich noch schnell meine Jeans an und rannte die Treppen runter in die Küche. Meine Mutter saß mit 2 Tassen Cappuccino am Tisch und wartete auf mich. Ich setzte mich zu ihr und nahm einen Schluck. Er war perfekt. Die warme Flüssigkeit rinn mir den Hals hinunter und wärmte mich von innen. „Du musst heute in den Laden oder?“ Ich nickte. „Aber mach erst dein Türchen auf.“ Sie zwinkerte mir zu. Ich trank den letzten Schluck und dann stand ich auf und ging ins Wohnzimmer. Dort stand auf dem Kamin ein großer Kasten mit ganz vielen kleinen Kästchen. Ich zog das Kästchen mit der Nummer 1 heraus und nahm das kleine Päckchen. Dann öffnete ich es und zum Vorschein kamen 2 wunderschöne Ohrringe. „Danke!“ schrie ich in die Küche und ein „Bitte“ kam zurück. Ich zog sie mir an, ging in den Gang und zog Stiefel und Mantel an. Dann setzte ich noch schnell meine Mütze auf und trat hinaus in den Schnee. 2 Straßen weiter war die kleine Bäckerei von meinem Onkel, bei der ich immer aushalf. Ich bog um die Ecke und plötzlich zog mich eine kräftige Hand in eine Spaltöffnung. Ich wollte schreien, doch die Hand presste mir den Mund zu. Ich strampelte so stark wie ich nur konnte um mich von dem festen Griff zu befreien, doch es war vergeblich. Ich spürte nur noch einen stechenden Schmerz in meinem Kopf und dann wurde es schwarz vor meinen Augen.
Als ich erwachte lag ich immer noch in einer Spaltöffnung. Ich sah an mir herunter und mein Mantel, meine Jeans, meine Stiefel und meine Tasche fehlten. Nur den Pulli hatte ich noch an. Als ich mir mit meiner Hand die Haare aus dem Gesicht streichen wollte, entdeckte ich Blut, obwohl es sehr dunkel war in dieser engen Gasse. Ich versuchte aufzustehen, doch meine Beine hatten keine Kraft. Also robbte ich auf dem Boden entlang bis ich wieder in eine größere Straße kam. Doch es war nicht dieselbe Straße auf der ich ursprünglich gekommen war. Auch die Häuser waren andere. Ich lehnte mich an eine Hauswand und versuchte zu Kräften zu kommen, ehe ich mich auf die Suche nach meinem Zuhause machen konnte. Weit und breit war keine Menschenseele zu sehen. Ich stülpte mir den Pulli über die Knie um sie zu wärmen. Nach einer Weile wurde es wieder schwarz vor meinen Augen.
Als ich erneut erwachte, lag ich auf einem Teppich neben einem Kamin, in einer Wolldecke eingemurmelt. Ich schreckte hoch und stöhnte als ein Schmerz durch meinen ganzen Körper fuhr. Eine Hand streichelte mir von hinten den Kopf und ich schreckte zurück. „Verzeihung. Ich wollte dich nur trösten.“ Als ich mich umdrehte saß eine alte Frau auf einem Sessel hinter mir und lächelte mir aufmunternd zu. „Granny. Ich hab dir doch gesagt, dass sie das nicht mögen wird. Sie weiß doch gar nicht wer wir sind.“ Ein Junge kam durch eine Tür am anderen Ende vom Raum und hielt eine Tasse in der Hand. Er reichte mir diese Tasse und setzte sich neben mich auf den Boden. „Entschuldige bitte. Ich bin Dan. Wir haben dich auf der Straße gefunden. Du warst ohnmächtig. „Wo ist meine Mama.“, war das einzige was ich herausbrachte und Tränen liefen mir über das Gesicht. „Ich weiß leider nicht wer deine Mutter ist. Aber wir werden sie finden. Das verspreche ich dir.“ Ich trank einen Schluck ohne zu wissen, ob ich den Leuten trauen konnte oder nicht. Die warme Flüssigkeit wärmte mich von innen. Wie den Kaffee den ich heute morgen noch getrunken hatte. Ich wollte aufstehen, aber war zu schwach, also stützte Dan mich und ich sagte nur ich müsse aufs Klo und er nickte. Als ich in dem Bad stand, sah ich in den Spiegel. Ein grauenhaftes Bild kam zum Vorschein. Das Mädchen das ich in dem Spiegel sah, hatte ein blaues geschwollenes Auge und blutige Lippen. Dazu noch einige Kratzer und wild zerzauste Haare. Was um Himmels Willen ist passiert. Als ich meinen Körper weiter betrachtete, bemerkte ich das nur mein Gesicht und meine Knie beschädigt waren. Alles weitere war in Ordnung. Erleichterung durchströmte mich. Ich ging wieder aus dem Bad und fragte nach einem Telefon. Dan gab mir ein Zeichen zu warten und ging den Gang entlang. Nach einigen Sekunden kam er mit einem Telefon zurück. Als ich die Nummer meiner Mutter tippen wollte, schrak ich erneut hoch. Der Wecker neben meinem Bett gab laute Klänge von sich. Ich schaute in den Raum. Es war mein eigenes Zimmer. Erleichtert stellte ich fest, das es nur ein furchtbarer Alptraum war und ich fiel zurück in mein Kissen.